Die Karwoche als Kraftquelle
Mit dem Palmsonntag beginnt die „Heilige Woche,“ die auch „Karwoche“ genannt wird. Der Name hat gar nichts mit Autos zu tun, auch wenn sich viele auf Reisen begeben und die Tage auf diese Weise durchaus zu einer „Car-Woche“ werden. Nein, der Wortteilt „Kar-“ leitet sich vom Althochdeutschen her und bedeutet „Kummer, Klage“ oder „Trauer.“ Der Anlass für ein derartiges Gefühl der Traurigkeit ist immer wieder der Blick auf Jesus von Nazareth, auf sein unschuldiges Leiden, auf seinen Tod am Kreuz und auf das Versagen seiner engsten Vertrauten. Es ist die Traurigkeit, die daraus entsteht, dass Menschen es einfach nicht schaffen, sich an die Liebe zu halten. Es gelingt nicht, der Anwendung von Gewalt zu widerstehen.
Dieses Thema ist nie erledigt. Jedes Jahr ist es deshalb wichtig, immer neu durch die Karwoche zu gehen und den Stimmungsumschwung des Jubels am Palmsonntag hin zur Erschütterung des Kreuzestodes mitzugehen. In der Kirche wurde oft davon gesprochen, dass es im Menschen neben dem vielen Guten auch Schuld und Sünde gibt. Natürlich ist das unpopulär. Neues Leid ist entstanden, weil Menschen sich allzu schlecht gefühlt haben. Trotzdem gibt es schuldhaftes Versagen bei uns Menschen. Wenn davon gar nicht mehr gesprochen wird, entsteht ebenfalls neue Unmenschlichkeit. Die Karwoche und insbesondere der Karfreitag bieten eine Gelegenheit, im Blick auf Jesu Schicksal die Aufmerksamkeit auch auf das eigene Leben zu richten. Wie standhaft bin ich gegenüber der Versuchung zu Gewalt und Hetze? Bleibe ich auf dem Weg der Nächstenliebe, auch wenn sich die Welt um mich herum verhärtet und Freundlichkeit gerade nicht angesagt zu sein scheint?
Die Karwoche endet mit dem Osterfest. Ostern ist das Fest, an dem wir einen Sieg feiern. Es ist der Sieg des Lebens über den Tod. In diesem Sieg wird die ganze Kraft Jesu sichtbar. Es ist nicht nur die Kraft zu neuem Leben. Es ist auch die Kraft zum Aushalten von Verleumdung, Hass, Folter und Tod. Jesu österlicher Sieg ist ein Sieg der Gerechtigkeit, des Erbarmens, der Menschlichkeit und der Liebe. Jesus hat es geschafft: Er widersteht der Versuchung, sich selbst in das Böse hineinziehen zu lassen. Er bleibt der Liebe treu – auch in der Erfahrung von Ungerechtigkeit und Leid. Jesus hält das Böse aus, er hält ihm Stand. Er lässt sich nicht durch das Böse zum Bösen hinreißen.
Für uns alle kann diese Karwoche zu einer Kraftquelle werden. Es ist eine Woche, die unsere menschliche Widerstandskraft stärkt. Wir werden resilienter gegen das Böse, weil wir uns dem Kummer, der Klage und der Trauer aussetzen. So gewinnen wir auch Anteil am Sieg Jesu und finden einen Ausweg aus dem Strudel von Hass und Gewalt. Das Leben und die Liebe sind stärker.