am 12./13.10.2024
Weisheit von oben
An diesem Sonntag wird in den katholischen Gottesdiensten aus dem Buch der Weisheit gelesen. Wir zählen es zum Alten Testament, obwohl es im Judentum keine Rolle spielt. Das kurze Buch ist auch gar nicht auf Hebräisch überliefert, sondern nur auf Griechisch. In der protestantischen Tradition zählt es zu den Apokryphen.
Unter den Christen wurde es in der frühen Kirche aber sehr geschätzt, weil es vom ehrlosen Tod eines Gerechten erzählt. Es gibt darin Sätze wie: „Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner“ (2,18). In diesen Passagen klingt es wie eine Vorhersage dessen, was später mit Jesus geschehen ist. Den frühen Christen wurde klar: Die Weisheit ist keine Lehre und auch keine Philosophie. Die Weisheit ist eine Person: Jesus Christus. Er ist „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ - so formuliert es Paulus im ersten Korintherbrief (1,24). Weisheit war und ist für uns Christen bestimmt keine Schlaumeierei. Sie ist eng verbunden mit der Person Jesu Christi, der von außen betrachtet als Gekreuzigter gar nicht nach Weisheit aussieht, der aber in seiner Hingabe die größte Liebe und die größte Weisheit gelebt hat. Er hat keine Gewalt gesucht. Er hat die Gewalt ertragen. Seine Weisheit ist eine Weisheit der Liebe. Jesus will nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern mit dem Kopf ins Herz. Seine Weisheit gibt es nicht in Büchern, sondern nur in Menschen. Die orthodoxe Liturgie benutzt für Jesus eine Formulierung aus dem Jakobusbrief (3,15.17): die „Weisheit von oben.“ Man hat die damals größte Kirche der Welt in Konstantinopel „Hagia Sofia“ - „Heilige Weisheit“ genannt und sie so mit anderen Worten keinem anderen als Jesus Christus selbst geweiht.
An diesem Sonntag geht mir durch den Kopf: die Welt braucht Weisheit, Weisheit von oben! Das gilt auch für mich persönlich. Vor 25 Jahren wurde ich Priester. War das eine kluge Entscheidung? Ohne Jesus Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit wäre es jedenfalls nicht möglich gewesen.
Dr. Christof Strüder, Pfarrer